Früherkennung mit der Vibrationsspektroskopie
RUB-Forscher gründen Center for Vibrational Microscopy
Bochumer Beitrag setzt sich im Wettbewerb "Med in NRW" durch

Bochum, 16.07.2008
Pressemitteilung 218/2008

Aus 235 eingereichten Beiträgen wählte eine Jury die 33 Sieger des Wettbewerbs "Med in NRW – Innovative Gesundheitswirtschaft" aus, darunter das Bochumer Projekt Center for Vibrational Microscopy (CVM). Im Labor hat die hochaufgelöste Vibrationsspektroskopie (trFTIR und "vibrational imaging") bereits auf ganzer Linie überzeugt, sie brachte den Durchbruch bei der Erforschung der Bausteine des Lebens, der Proteine. Jetzt soll die vom Bochumer Biophysiker Prof. Dr. Klaus Gerwert und seinem Team entwickelte Methode in die klinische Praxis umgesetzt und marktreif gemacht werden. Rund 1,2 Millionen Euro erhalten Prof. Gerwert und seine Partner aus dem Bochumer Universitätsklinikum, um das CVM in den nächsten drei Jahren aufzubauen und als Transferplattform zu etablieren. Auch die Entwicklungsgesellschaft Ruhr beteiligt sich an der Förderung.

Detaillierte Aussagen mit neuer Methode
Das CVM soll vibrationsspektroskopische, abbildende Methoden einsetzen, um Krankheiten, vor allem Krebs, möglichst frühzeitig zu erkennen und Wirkstoffe zu analysieren. Auf beiden Gebieten wird die Vibrationsspektroskopie bislang kaum genutzt, obwohl sie sich inzwischen hervorragend dafür eignet. Mit den am Lehrstuhl für Biophysik der RUB entwickelten infrarot- und ramanspektroskopischen Verfahren lassen sich im Gegensatz zu anderen Methoden sehr viel detailliertere Aussagen über die Interaktion von Proteinen treffen – insbsondere zur Charakterisierung von Körperflüssigkeiten und Gewebeschnitten. In bisherigen Ansätzen müssen Gewebeproben aufwändig angefärbt werden. Mit Hilfe der Vibrationsspektroskopie kann man die Proben direkt biochemisch bestimmen und somit zum BeispielTumorzellen identifizieren. Die Spektren stellen dabei einen charakteristischen "Fingerabdruck" dar.

Prof. Dr. Klaus Gerwert

Prof. Dr. Klaus Gerwert

Von der Probe bis zur praktischen Anwendung
Nachdem der Konstruktionsplan für die Lebensprozesse, das Genom, entschlüsselt ist, wollen Forscher jetzt herausfinden, wie die einzelnen Bauteile in der lebenden Zelle miteinander interagieren. Bei vielen Prozessen innerhalb von Zellen finden sich so genannten G-Proteine, zu denen auch Ras gehört, als wichtige regulierende Module, die Prozesse an- und abschalten können. Dabei zeigt sich, dass beim Abschalten der G-Proteine der "Arginin-Finger" der herunter regulierenden GAP-Proteine eine katalytische Rolle spielt. Alfred Wittinghofer hat die wichtige Rolle des von ihm benannten "Arginin-Fingers" für die Ras-Katalyse entdeckt. Aufbauend auf seinen Arbeiten konnten Carsten Kötting und Klaus Gerwert jetzt die einzelnen Schritte dieser Interaktion auflösen. Insbesondere konnten sie die Bewegung des entscheidenden "Arginin-Fingers" direkt beobachten.

"Arginin-Finger" drückt Wassermoleküle aus der Tasche
Beteiligt am CVM sind Prof. Thomas Brüning (Direktor des Forschungsinstituts für Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, BGFA, Klinikum der RUB) und Prof. Wolff Schmiegel (Knappschaftskrankenhaus Bochum-Langendreer, Klinikum der RUB). Das BGFA und die medizinische Uniklinik stellen Probenmaterial für die weitere Forschung zur Verfügung. Die Ergebnisse sollen dann in die medizinische Praxis einfließen. Geplant ist, eine Methode zur Früherkennung von beruflich verursachten Lebererkrankungen und Darmkrebs zu entwickeln, wobei sich die Vibrationsspektroskopie auch für endoskopische Untersuchungen eignet. Darüber hinaus erforschen die Wissenschaftler die Wechselwirkungen von Wirkstoffen mit Zielproteinen – zunächst bei Proteinen der Ras-Familie, die unter anderem beim Darmkrebs eine entscheidende Rolle spielen.

Der Ras-GAP-Komplex in atomarer Auflösung

Der Ras-GAP-Komplex in atomarer Auflösung. Der rote Arginin Finger drückt die Wassermoleküle aus der Bindetasche. Dabei wird die Entropie (Unordnung) erhöht.

Hochaufgelöste Proteininteraktion
Für die Entwicklung der vibrationsspektroskopischen Methode trFTIR erhielt Prof. Gerwert mehrere Auszeichnungen, unter anderem den Innovationspreis Ruhr 2006. Mit dem Verfahren lassen sich Reaktionsmechanismen insbesondere von Membran-Proteinen aufklären, aber auch Protein-Protein-Interaktionen räumlich und zeitlich mit höchstmöglicher Auflösung zeigen und so das komplexe dynamische Wechselspiel der Proteine auf atomarer Ebene bestimmen. Heute eingesetzte Methoden, die sogenannte "Proteomik" und "strukturelle Genomik", können zwar Proteine identifizieren und die atomare Struktur von Proteinen auflösen, nicht aber deren Dynamik. Es konnte bisher eine Art "Schnappschuss" vom eingefrorenen Protein aufgenommen werden. Die Bochumer trFTIR macht dagegen das Funktionieren von Proteinen und ihre dynamischen Interaktionen in Netzwerken sichtbar. "Man schaut quasi durch ein Nanoskop in Echtzeit in die Proteinnanowelt", so Prof. Gerwert. Damit kann die trFTIR zu einem zentralen Werkzeug der Systembiologie werden, da sie im Prinzip auch an Zellmembranen und an der lebenden Zelle eingesetzt werden kann, um Veränderungen, zum Beispiel Zellwachstum, frühzeitig zu erkennen. Die trFTIR ermöglicht dies in bisher unerreichter Empfindlichkeit und Schnelligkeit.

Arbeiten im Rahmen des SFB 642
Insgesamt stehen in den kommenden Jahren bis zu 70 Millionen Euro aus Mitteln der EU (Ziel 2-Programm), des Landes, der Kommunen und privater Partner zur Verfügung, um Projekte zu fördern, die die Qualität der medizinischen Versorgung verbessern und Arbeitsplätze in der Gesundheitsbranche schaffen. Der Wettbewerb "Med in NRW" ist damit der größte der Landesregierung im NRW-EU-Ziel 2-Programm.

Wettbewerb „Med in NRW“:

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Klaus Gerwert
Lehrstuhl für Biophysik
Tel: 0234/32-26641
E-Mail: klaus.gerwert@ruhr-uni-bochum.de

Zurück zur Auswahlseite