Entwicklung von Alzheimer-Plaques mit Infrarot-Mikroskopie aufgeklärt

Bochum, 18.12.2020
News 18/12/2020

Man kann dem Menschen nicht einfach in den Kopf schauen. Das macht es schwierig zu verstehen, was im Gehirn von Demenzkranken passiert. Eine neue Methode verschafft Einblicke.

Dominik Röhr erforscht Proteine, die bei Alzheimer verändert sind. © Michael Schwettmann

Dominik Röhr erforscht Proteine, die bei Alzheimer verändert sind.

Bei Alzheimerkranken lagert sich das Protein Amyloid-ß (Aß) im Gehirn zu sogenannten Fibrillen zusammen. Dies hat toxische Folgen für die umliegenden Nervenzellen. Man vermutet, dass Immunzellen die Aß-Fibrillen zu Plaques verdichten. Die Entstehung dieser mikroskopisch kleinen Gebilde konnte jetzt beim Menschen mit Infrarot-Mikroskopie nachverfolgt werden. Ein Forschungsteam der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und der Vrije Universität Amsterdam (VU) hat die Entwicklungsstadien der Aß-Fibrillen bestimmt und so die Entstehung der Plaques nachvollziehen können. Die Forscherinnen und Forscher berichten in der Fachzeitschrift Acta Neuropathologica Communications vom 11. Dezember 2020.

Mit gebündelten Kräften

Das Team vom Zentrum für Proteindiagnostik (Prodi) der RUB arbeitet mit dem medizinischen Zentrum der Vrije Universität Amsterdam (VUmc) zusammen, um die Expertise aus Protein- und Demenzforschung zu bündeln. Medizinische Expertinnen und Experten wie Baayla Boon vom VUmc begleiten Demenzkranke im Alltag und sammeln das Hirngewebe verstorbener freiwilliger Spender. Daraus werden hauchdünne Schnitte für die Untersuchungen angefertigt. "Solche Gewebeschnitte geben Einblick in das Innerste der Hirnwindungen", sagt Prof. Dr. Annemieke Rozemuller, Leiterin des Lehrstuhls für Pathologie an der VU.

Dominik Röhr, Prof. Dr. Klaus Gerwert und Dr. Frederik Großerüschkamp von Prodi (v.l.) © Michael Schwettmann

Dominik Röhr, Prof. Dr. Klaus Gerwert und Dr. Frederik Großerüschkamp von Prodi (v.l.)

Bei regelmäßigen Treffen tauschen die Gruppen Proben und Erkenntnisse aus. In Bochum untersuchen Proteinforscherinnen und -forscher um Prof. Dr. Klaus Gerwert, Leiter des Lehrstuhls für Biophysik und Gründungsdirektor von Prodi an der RUB, das Hirngewebe. Die darin enthaltenen Plaques werden in speziellen Mikroskopen mit infraroter Strahlung durchleuchtet. "Damit können wir die Faltung von Biomarker-Proteinen im Gewebe bestimmen", sagt Dominik Röhr von Prodi.

Eine neue Zeitrechnung für Plaques

Die Umfaltung des Aß-Proteins führt zu langen Fibrillen, wie aus Laborexperimenten bekannt ist. Zunächst faltet Aß sich wie ein Blatt Papier zu sogenannten ß-Faltblättern um. Diese lagern sich zu kleinen Gruppen zusammen, die man Oligomere nennt. Im Laufe der Zeit legen sich die ß-Faltblätter wie in einem Kartenstapel zu Fibrillen zusammen. Die Bochumer Forscher um Klaus Gerwert betrachten diesen Prozess als eine Art innere Uhr der Plaques. Neu entstandene Plaques enthalten noch viele Oligomere. Im Verlauf der Plaque-Entwicklung entstehen daraus fortlaufend Fibrillen. Die Wissenschaftler konnten so zeigen, dass Plaques während ihrer Entwicklung verschiedene Stadien durchlaufen. "Die Entwicklung der Plaques konnte bisher nicht direkt beobachtet werden. Durch die Kombination von Methoden aus Medizin und Physik eröffnen sich nun neue Möglichkeiten", so Klaus Gerwert.

Links ist ein voll entwickelter Plaque aus braun angefärbtem Aß zu sehen. Rechts ist die durch Infrarot-Mikroskopie ermittelte Struktur des Aß gezeigt. In Kern befinden sich Fibrillen (rot), darum liegen hauptsächlich Oligomere (blau). © Prodi

Links ist ein voll entwickelter Plaque aus braun angefärbtem Aß zu sehen. Rechts ist die durch Infrarot-Mikroskopie ermittelte Struktur des Aß gezeigt. In Kern befinden sich Fibrillen (rot), darum liegen hauptsächlich Oligomere (blau).

Wissen für den Kampf gegen Alzheimer

Beim Kampf gegen Alzheimer steht Aß im Fokus. Ein zentraler Ansatz bei der Suche nach einem Heilmittel ist es, die Plaques im Gehirn der Patienten aufzulösen. "Eine frühe Diagnose von Alzheimer ist dabei entscheidend, um zu verhindern, dass Aß im Gehirn irreparablen Schaden anrichtet", so Dominik Röhr. Aktuell befinden sich vielversprechende Medikamente in der Zulassungsprüfung. Darunter der Antikörper Aducanumab, welcher Plaques in Gehirn auflösen kann. Die neuen Erkenntnisse aus der Infrarot-Mikroskopie legen nahe, dass die Entwicklung von Plaques frühzeitig gestoppt werden könnte, indem man die Entstehung von Oligomeren verhindert. Diese gelten als besonders schädlich für das Gehirn. Mit entsprechenden Wirkstoffen könnte so die toxische Wirkung von Aß minimiert werden.

Förderung

Das Forschungszentrum für Proteindiagnostik Prodi (Förderkennzeichen 111.08.03.05-133974) und vormals das Pure-Konsortium (Förderkennzeichen: 233-1.08.03.03.-031-68079) wurden durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Auf Seiten der Vrije Universität Amsterdam wurde von Alzheimer Nederland (WE.15-2019-13), ZonMw (733050104) und NIH (1R01AG061775) gefördert.

Originalveröffentlichung

Dominik Röhr et al.: Label-free vibrational imaging of different Aß plaque types in Alzheimer’s disease reveals sequential events in plaque development, in: Acta Neuropathologica Communications, 2020, DOI: 10.1186/s40478-020-01091-5

Pressekontakt

Prof. Dr. Klaus Gerwert
Lehrstuhl Biophysik
Fakultät für Biologie und Biotechnologie
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 - 3218035
klaus.gerwert@ruhr-uni-bochum.de

Prof. Dr. Annemieke Rozemuller
Department of pathology
Amsterdam UMC – location VUmc
The Netherlands
Tel.: +31 20 44 44017
pathol@vumc.nl

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